Hessische Wohnungswirtschaft zieht Zwischenbilanz zur Arbeit der Ampelregierung
Herausforderungen größer denn je – an vielen Stellen fehlen aber noch zukunftsfähige Lösungen
Neubauziele unter den aktuellen Konditionen nicht erreichbar
Förderchaos ist Gift für bezahlbaren und klimafreundlichen Wohnraum
Absenkung der Grunderwerbssteuer als Chance
Extrem schwierige Rahmenbedingungen, aber auch viele „hausgemachte“ Unzulänglichkeiten – die Arbeit der Ampelregierung in den ersten sechs Monaten gibt aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft der Wohnungs- und Immobilienverbände (AWI) Hessen vielfach Anlass zur Kritik. Dabei war der Start im Dezember durchaus verheißungsvoll: Mit einem eigenständigen Bauministerium hat die Koalition signalisiert, dass sie der Bau- und Wohnungspolitik besondere Bedeutung beimessen möchte. Nach wenigen Monaten herrscht jedoch Ernüchterung.
Dr. Axel Tausendpfund, Sprecher der AWI Hessen und Vorstand des Verbands der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft (VdW südwest), sagt: „Die Herausforderungen waren für die Wohnungswirtschaft schon vor dem Ukraine-Krieg enorm. Seitdem haben sie jedoch eine noch dramatischere Dimension erreicht. Durch stark steigende Bau- und Energiepreise, wachsende Probleme bei der Materialbeschaffung und angehobene Zinsen haben wir einen ,perfekten Sturm‘. Die Ursachen sind zwar nicht der Politik anzulasten, ein effektives Gegensteuern zur Entschärfung der Situation ist aber leider bisher nicht gelungen.“
Auch Gerald Lipka, Geschäftsführer des BFW Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland, kritisiert: „Das Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen ist aktuell nicht zu erreichen. Explodierende Baukosten, Lieferengpässe, eine hohe Inflation und steigende Finanzierungskosten wirken sich massiv auf die Baubranche aus. Will die Politik keine Vollbremsung beim Wohnungsbau riskieren, muss sie frühzeitig reagieren. Sie darf nicht warten, bis der Wohnungsbau am Boden liegt.“ Alle politischen Ebenen – Kommunen, Land und Bund – müssten dafür sorgen, dass sich der Wohnungsbau nicht weiter verteuert. „Dazu braucht es verfügbare und bezahlbare Grundstücke, entschlackte Bebauungspläne, schnelle Genehmigungsprozesse und etwas mehr wirtschaftlichen Realismus“, so Lipka weiter. Hinzu komme, dass trotz eines unverändert hohen Wohnbedarfs die Bereitschaft zu Investitionen deutlich geschwächt sei, nicht zuletzt durch den Vertrauensverlust, der vor allem auf das Desaster bei der KfW-Förderung zurückzuführen sei.
Das unterstreicht auch Tausendpfund: „Der KfW-Förderstopp im Januar und die bis heute nicht geklärte Fördersituation für die kommenden Jahre sind Gift für neuen bezahlbaren und klimafreundlichen Wohnraum. Die Koalition hat es bisher versäumt, verlässliche Rahmenbedingungen und gute Förderkonditionen zu etablieren. Daher laufen wir Gefahr, dass die Bautätigkeit auch in Hessen zurückgeht. Die Landesregierung muss hier ebenfalls dringend gegensteuern. Ihre ursprünglich guten Förderprogramme bilden längst nicht mehr die Realität ab und müssen unbedingt angepasst werden.“ Eine zusätzliche Gefahr für das bezahlbare Wohnen seien die Pläne für das neue Gebäudeenergiegesetz. „Die geplante Verschärfung des Neubaustandards verteuert den Bau weiter und wird sich auch auf die Mieten auswirken“, so Tausendpfund. Er fordert die Landesregierung auf, sich im Bund gegen eine weitere Verschärfung einzusetzen.
Younes Frank Ehrhardt, Geschäftsführer von Haus & Grund Hessen, lenkt den Blick auf die jüngst von Finanzminister Lindner vorgeschlagene Reduzierung der Grunderwerbssteuer. Demnach sollen die Bundesländer künftig über einen zweiten Steuersatz verfügen, den sie bis auf null absenken können. In Hessen liegt er aktuell bei sechs Prozent. „Die hohe Grunderwerbsteuer, die regelmäßig nicht mitfinanziert werden kann, führt oftmals zu einer Verzögerung der Kaufentscheidung oder sogar zum Nichtkauf. Wenn die Politik den Traum der Menschen von den eigenen vier Wänden nicht zerstören will, muss sie endlich handeln. Gerade für junge Familien wird es immer schwieriger, ins Eigenheim zu kommen“, so Ehrhardt. „In Hessen sind die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer seit 2012 um das 3,5-fache gestiegen, bis auf 1,98 Milliarden Euro im Jahr 2021. Dabei verdient der Staat bereits am Bau von Häusern und Wohnungen kräftig mit – etwa über Umsatzsteuer auf Bauleistungen, Einkommens- und Lohnsteuer des bauausführenden Handwerks und Architektenleistungen. Deshalb begrüßen wir, dass die Bundesregierung nunmehr eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer ermöglichen will.“
Die in der AWI Hessen zusammengeschlossenen Verbände werden die Wohnungspolitik in Berlin und ihre Auswirkungen auf die Bundesländer weiter eng verfolgen. „Wo die Landesregierung Spielräume hat, etwa in der Förder- und Steuerpolitik, muss sie sie nutzen – so wie es in der Vergangenheit auch schon oft gelungen ist“, betont AWI-Sprecher Tausendpfund. „Wir stehen als qualifizierter Ansprechpartner zur Seite und möchten als hessische Wohnungswirtschaft unseren Beitrag leisten, die Herausforderungen zu bewältigen.“